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Inhalt:

  • Piegler
  • Wörter im Duden – Pizza

200 Jahre Fam. Gottfried Piegler in Schleiz

Das Schicksal dieser Firma ist ein eindrucksvolles Beispiel für Wandel im Laufe der Zeit, hier speziell in jener Region Thüringens, der dieses Jahrbuch gewidmet ist. Im Folgenden soll das kurz skizziert werden: Gottfried Piegler wurde als viertes von sechs Kindern des aus Ölsnitz/Vogtl. um 1790 nach Schleiz zugewanderten Bäckers Christian F. Piegler (1768–1806) und dessen Ehefrau Christiana D. (1754–1831) am 23. Februar 1797 in dieser kleinen reußischen Residenzstadt geboren. Das war ein Jahr vor der französischen Revolution, deren Auswirkungen kaum ein Dezennium später auch Schleiz in Gestalt von Napoleon höchst persönlich erreichen sollten. Gottfrieds Brüder schlugen unterschiedliche Wege ein, die einen wurden wie der Vater in Schleiz Bäcker, ein anderer nahm sein Theologiestudium in Leipzig auf, schloss sich nach der dortigen Völkerschlacht aber dem „Banner der freiwilligen Sachsen“ an, um Napoleons Truppen nachzusetzen, die 1806 seiner Heimatstadt Schleiz so übel zugesetzt hatten. In der Zeit jenes heraufziehenden Krieges war der Vater, also Christian Friedrich, 38-jährig ganz überraschend am 06.09.1806 einem Blutsturz erlegen. Gottfried war damals erst 9 Jahre alt. Nur einen Monat später war seine Heimatstadt Kriegsschauplatz.

Nach seiner von Kriegswirren und Tod überschatteten Jugend wandte sich Gottfried Piegler dem Nadlerhandwerk zu. Seine Wanderjahre führten ihn über Gotha und Kassel nach Frankfurt/M., wo er an der Hauptwache bei Meister Domschiez tätig wurde, schwer erkrankte und, ohne Meisterbrief in der Tasche, in seine Heimat zurückgebracht werden musste. Über ein Jahr war er ans Krankenlager gefesselt. In seiner Not richtete er im Januar 1819 ein verzweifeltes Bittgesuch an den damals regierenden reußischen Fürsten Heinrich LXII., ihm außerhalb der Zunft das Betreiben seines Metiers in Schleiz im väterlichen Haus am Altmarkt zu erlauben. Nach einem Monat bangen Wartens kam am 4. Februar 1919 die erlösende Erlaubnis! Trotz einer wegen seiner unsäglichen Schmerzen 1824 notwendig werdenden Beinamputation wurde Gottfried Piegler (Abb. 1) in den folgenden Jahren zu einem der erfolgreichsten Unternehmer der Stadt und hat ihren guten Ruf in aller Herren Länder getragen. Am 25. November 1824 nahm er die 22-jährige Rotgerbertochter Friederike Henriette Köber (1802–1883) zur Frau – sein „Jettchen“, wie er sie liebevoll nannte -, mit der er in glücklicher Ehe lebte und fünf Söhne und zwei Töchter hatte.


Sein Erfolg resultierte aus der Tatsache, dass er die Bedeutung der Aufsehen erregende Entdeckung der Platinkatalyse (1823) durch den Jenaer Ordinarius für Chemie, Johann Wolfgang Döbereiner, erkannte, die dieser der gesamten Menschheit uneigennützig zur Verfügung stellte. Die Katalyse – der Chemiker Berzelius gab dem Phänomen 1835 diesen Namen – sollte zum Wegbereiter der gesamten modernen Chemie werden. Gottfried Piegler war einer der Ersten, der sie technisch umsetzte, indem er Platina-Zündmaschinen ab Mitte der 1820er Jahre in Massenproduktion herstellte und weltweit vermarktete! Es waren die ersten „modernen“ Feuerzeuge! Bei Druck auf einen Hebel lieferten sie eine Flamme, indem Wasserstoffgas an Platinschwamm (Katalysator), auf den es traf, mit dem Sauerstoff der Luft eine Flamme bildete. Bis dahin hatte man mühsam mit Stahl und Feuerstein Funken schlagen müssen. Bald stand in fast jeder gutbürgerlichen Biedermeier-Wohnstube ein Döbereiner-Feuerzeug. Auf dem Rechnungskopf von Gottfrieds Werkstatt prangte groß „Platinafeuerzeug Fabrik“ und das Emblem von Hermes, dem Gott des Handels, mit einem Platina-Feuerzeug in der ausgestreckten Hand. Dies ist als Anspielung auf den „vogtländischen Prometheus“ zu verstehen, wie Döbereiner gerne im Volksmund genannt wurde, dessen Entdeckung Gottfried Piegler als Kaufmann umsetzte. Das Piegler-Werk bezeichnete sich selbst als älteste Fabrik und Lager von Platinfeuerzeugen, Platina-Räuchermaschinen, Platinaschwämmchen und aller dazugehörigen Utensilien. Die Feuerzeugbehälter gab es in verschiedensten, teils sehr kunstvollen Ausführungen: in Glas (klar, rubinrot, kobaltblau), Porzellan, Steingut, lackiertem Holz (Abb. 2) und aus bemaltem Weißblech. Auch die Mechanik war unterschiedlich, wobei bei den höherpreisigen Ausführungen das Feuer nicht unmittelbar mit einem Fidibus abgenommen werden musste, sondern sich ein Lämpchen entzündete. Publikationen des renommierten englischen Chemikers John Meurig Thomas ist zu entnehmen, dass Gottfried Piegler nach 1828 Hunderttausende von Döbereiner Feuerzeugen in Massenproduktion herstellte. Einige 20.000 waren in jenem Jahr allein schon in Deutschland und England in Gebrauch. Geschäftsbeziehungen gab es von Aachen bis Königsberg und von Hamburg bis Konstanz, aber auch nach Frankreich, Holland, in die Schweiz, nach England, Polen, Litauen, Russland, Italien, Spanien und in die USA. Lithographierte Gebrauchsanweisungen in französischer, englischer, italienischer und spanischer Sprache waren in Anbetracht des internationalen Kundenkreises eine Selbstverständlichkeit.

Der große Bedarf an Zündmaschinen führte dazu, dass Gottfried Piegler auch Aufträge an andere Gürtler in der Nähe (z.B. Grünler und Kneusel in Zeulenroda) vergeben konnte. Allein in den Werkstätten von Piegler und Holzschuher in Schleiz waren in der Glanzzeit 40 bis 50 Gürtlergesellen beschäftigt, die, gut bezahlt und zu manchem Scherz aufgelegt, als „Piegler’s Gesellen“ regionale Berühmtheit erlangten. Selbst der große Stadtbrand in Schleiz Anfang Juli 1837, der die Fertigungs- und Geschäftsräume in Schutt und Asche legte, vermochte den Aufstieg der Firma nicht zu bremsen. Im Gegenteil: 1838 wurde von Piegler am Markt 1 neu und größer gebaut. Auf allen bedeutenden Messen Deutschlands (Leipzig, Braunschweig, Frankfurt a.d.O. und Frankfurt a.M. sowie Berlin) war Gottfried Piegler mit seinen Erzeugnissen vertreten, 1851 auch bei der ersten Weltausstellung („Great Exhibition“) im Kristallpalast in London. Am 30. Dezember 1847 ehrte Fürst Heinrich LXII. Reuss zu Schleiz seinen Untertan, indem er ihn „in Anerkennung des Verdienstes, welches er sich durch Begründung eines neuen Gewerbezweiges in hiesiger Stadt erworben hat“, zum Hofkommissair ernannte. Am 6. Februar 1849 verstarb Gottfried Piegler. Er hinterließ seiner Frau ein Erbe von 66.000 Talern. Heute würde man sagen, er hat es zum Millionär gebracht. Entsprechend hoch war nun das Ansehen der Familie und so nahm einer der Söhne eine Tochter aus der angesehenen Familie Weißker zur Frau, ein anderer eine aus dem vogtländischen Adelsgeschlecht von Kutschenbach und eine Tochter schließlich heiratete den ortsansässigen Kammerpräsidenten Frommhold. Der Zweitjüngste, Curt, wählte einen anderen Weg. Er verdingte sich unter Napoleon III. als Fremdenlegionär, kämpfte in Mexiko auf der Seite des österreichischen Erzherzogs bzw. Kaisers Maximilian I. und fiel 25-jährig am 01.08.1866 in Tampico. Die Söhne Karl Alexander – er stand bis zu seinem Tod 1868 einer Niederlassung in Leipzig vor -, Herrmann und Richard sen. führten die Firma weiter. Letzterer hatte im Rahmen seiner Ausbildung zum Ziseleur über ein Jahr in Paris gearbeitet.


1848 hat ein Schüler Döbereiners, Prof. Rudolf Ch. Böttger aus Frankfurt/M., die praktischen und billigen Sicherheitszündhölzer („Schwedenhölzer“) eingeführt, die den teuren, aber aristokratischen Tischfeuerzeugen rasch den Rang abliefen. Gleichwohl wurden diese in der Fabrik noch bis Ende des 19. Jahrhunderts gefertigt und ausgeliefert. Viele Schleizer haben von dem Gewerbezweig profitiert. Der Drogist Theodor Berner, der sein Geschäft in der Agnesgasse hatte, veröffentlichte 1834 sein passendes Büchlein „Der Platinschwamm oder deutlicher Unterricht wie man den zu der Döbereiner’schen Platina-Zündmaschine nöthigen Zündstoff schnell und sicher verfertigen kann, nebst Anweisung zur Füllung und Behandlung der Maschine selbst“ und noch 1882 versuchten die Schleizer Wilke und Baaßler mit einer Modifikation des Feuerzeugs, die sie sich patentieren ließen, Furore zu machen. Aber der Siegeszug der Streichhölzer war nicht aufzuhalten. Gottfried Piegler hatte wohlweislich schon rechtzeitig das Sortiment enorm erweitert, so dass die Firma auch das überstand. In die Zeit der „Großen [wirtschaftlichen] Depression“ (1873–1896) fällt der Tod des für die wirtschaftliche Leitung verantwortlichen Hermann Piegler (15.05.1878). Sein Bruder Richard sen., der technische Leiter, glaubte die Firma ohne den Bruder nicht weiterführen zu können und setzte seinem Leben acht Tage später ein Ende. Aber die Familie ließ sich nicht unterkriegen.


Mit Aufkommen der Modefriseure Ende des 19. Jahrhunderts setzte man auf Frisörbedarfsartikel, womit in den folgenden Jahrzehnten eine neue Blüte der Fabrik erreicht wurde, die nach dem Ersten Weltkrieg 1926 in neu errichtete größere Räumlichkeiten in der Moltke-Straße (heute: Rudolf-Breitscheidstr. 6) umzog (Abb. 3). Als erste Firma in Europa stellte man Frisörbedarfsartikel in verchromter Ausführung her. In dieser neuerlichen Blütezeit wuchs die Belegschaft bis auf 80 Mitarbeiter. In London und Rotterdam wurden eigene Lager unterhalten.

Beide Weltkriege haben der Firma schwer zugesetzt. Im Gefolge des Zweiten Weltkriegs kam es zur Demontage und Abtransport des Maschinenparks in die Sowjetunion sowie zum demütigenden Prozess der Enteignung der letzten Firmeninhaber, Kurt (1900–1969) und Theodor Piegler (1904–1991). Da sie um ihr Leben fürchten mussten, suchten sie ihr Heil in der Flucht. Ein Versuch zusammen mit ihren Familien die sowjetische Besatzungszone zu verlassen, scheiterte, so dass sie sich am 28. August 1948, beide bereits weit über 40 Jahre alt, allein auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machten. In Nürnberg gelang es ihnen in einem ehemaligen Latrinengebäude auf dem vormaligen Reichsparteitagsgelände die Produktion von Frisörbedarfsartikeln unter primitivsten Bedingungen wieder aufzunehmen.

1952 durften ihre Familienangehörigen die DDR verlassen. 1954 erfolgte der Umzug in neu errichtete Produktionsräume nahe der Burg (Lange Gasse 15). Die Fabrikation erfolgte dort unter dem Firmennamen „Gebr. Piegler, vormals Gottfried Piegler“. 72-jährig löste der letzt überlebende Inhaber, Theodor Piegler, die Firma 1976 auf. 1990 hat er seine geliebte Schleizer Heimat noch einmal wiedergesehen. Auf einem Piegler-Grabstein auf dem Schleizer Bergfriedhof hält eine Inschrift die Erinnerung wach: „Aus ihrer Väter Stadt vertrieben / War Nürnberg ihrer Zuflucht Ort / Im Grabe ruh’n sie heute dort. / Im Herzen sind sie hier geblieben.“

Ihr Lebenswerk, die Fabrik in der Breitscheidstraße in Schleiz, wurde zu einem Volkseigenen Betrieb, der mit der ehemaligen Metallwarenfabrik von Eduard Walther und später auch noch den Armaturenwerken Rudolf Sasse, in den 1970er Jahren auch noch anderen Firmen, zusammengelegt wurde und fortan unter dem Namen BLEWA firmierte. Die Produktion wurde umgestellt und schon bald erlangte der VEB Blewa Schleiz eine Monopolstellung in der Herstellung von Rückspiegeln für die Fahrzeugproduktion der DDR.

Nach der Wende wurde 1990 ein Gesellschaftervertrag mit der Hohe KG aus Collenberg unterzeichnet, später kam die Firma Donelly und schließlich der nunmehr namensgebende amerikanische Gesellschafter dazu. Heute ist diese Firma als Magna Mirrors Schleiz GmbH eine florierende Fabrik mit mehreren hundert Mitarbeitern und Sitz im Schleizer Gewerbegebiet. Aus der ehemaligen Blewa hat sich am alten Standort noch ein weiterer florierender Betriebszweig entwickelt, die BLEWA Metallverarbeitung GmbH mit Sitz in der Julius-Alberti-Str. 6 (einstige Villa von Theodor Piegler, s. Abb. 3).

Die frei gewordenen Fabrikräume in der Rudolf-Breitscheid-Str. 6 standen viele Jahre leer bis nach einem aufwändigen Umbau daraus ein respektables Ärztehaus entstand, das am 05. April 2002 feierlich seine Türen öffnete. Der Verfasser wurde damals von Herrn Günter Süß, dem einstigen Geschäftsführer der Nach-Wende BLEWA Gmbh, sehr freundlich mit den Räumlichkeiten vertraut gemacht. Mittlerweile sind in das Gebäude auch noch Therapiepraxen, eine Apotheke, ein Sanitätshaus und eine Gebäudeservice-Firma eingezogen, so dass ein regelrechtes Gesundheitszentrum entstanden ist.

Eine neue Blüte erlebte auch das einstige Wohn- und Geschäftshaus Gottfried Pieglers am Markt 1. Seine letzten Eigentümer, Volker und Henrik Piegler, verkauften es 2012 an die Lebenshilfe Schleiz-Bad Lobenstein e.V., die das Gebäude sanierte und umbaute, um so Menschen mit Behinderung ein barrierefreies Wohnen mitten in der Stadt zu ermöglichen. Auch die Geschäftsstelle des Vereins fand hier – ganz zentral und so für jedermann gut erreichbar – ihr neues Zuhause. Als dieses Schmuckstück am Schleizer Altmarkt (Abb. 4) am 06. Mai 2017 in Gegenwart von Gästen und Angehörigen der Familie Piegler feierlich seiner Bestimmung übergeben wurde, da begrüßte die Geschäftsführerin, Frau Katrin Grimm, die Anwesenden mit folgenden Worten: „Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende“, ein Satz, dessen Wahrheit sich in der hier erzählten Geschichte immer wieder finden lässt. Der seit 2014 im Schleizer Gewerbegebiet an den Firmengründer erinnernde Straßenname „Gottfried-Piegler-Straße“ steht für diesen Mut! Und: die Stadt Schleiz hat ihm damit für immer ein ehrendes Denkmal gesetzt!

Dr. med. Theo Piegler zur Festveranstaltung am 16.06.2019


Grafik: Jürgen K. Klimpke